Die Waffen der Salmonellen sind enttarnt
14 March 2011
Bakterien wie etwa Salmonellen infizieren ihre Wirtszellen über
nadelartige Fortsätze, die sie bei einer Attacke in großer Zahl
aufbauen. Mit neu entwickelten Methoden der Kryo- Elektronenmikroskopie konnten Wiener Forscher um Thomas Marlovits die
Struktur dieses Infektionsapparats im nahezu atomaren Bereich
auflösen. Das Wissen um den exakten Bauplan soll bei der Entwicklung
von Medikamenten helfen, die die Infektion unterbinden.
Pest, Typhus, Cholera - einige der verheerendsten Krankheiten
werden von Bakterien ausgelöst, denen eines gemeinsam ist: sie verfügen
über einen effizienten Infektionsapparat, der als Waffe fast unschlagbar
ist. Beim Befall einer Körperzelle bauen sie zahlreiche hohlnadelartige
Strukturen auf, die aus der Bakterienhülle ragen. Durch diese Nadeln
injizieren sie Signalstoffe in die Wirtszellen, die diese
umprogrammieren und ihre Abwehr überwinden. Fortan haben die
Krankheitserreger leichtes Spiel und können ungehindert in großer Zahl
in die Zellen eindringen.
Der Biochemiker und Biophysiker Thomas Marlovits, Gruppenleiter
an den Wiener Instituten IMP (Forschungsinstitut für Molekulare
Pathologie) und IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften), beschäftigt sich seit
mehreren Jahren mit dem Infektionskomplex von Salmonellen. Bereits
im Jahr 2006 konnte er beschreiben, wie der Aufbau des
Nadelkomplexes von Salmonella typhimurium vor sich geht (Nature 441,
637-640). Nun gelang es ihm und seinem Doktoranden Oliver Schraidt,
die dreidimensionale Struktur in extrem hoher Auflösung
darzustellen. Das Team konnte Einzelheiten mit Dimensionen von 5-6
Angström sichtbar machen – das sind nahezu atomare Größenordnungen.
Die Arbeit wird in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins
Science vorgestellt.
Struktur des Nadelkomplexes von Salmonella im
zellulären Zusammenhang (Grafische Interpretation, basierend auf
Originaldaten). Quelle: IMP-IMBA
Wie gesehen, so zerstört
Nie zuvor wurde das Infektionswerkzeug von Salmonellen mit
derartiger Präzision dargestellt. Erreicht wurde dies durch den
kombinierten Einsatz von hochauflösender Kryo-Elektronenmikroskopie
und eigens entwickelter Imaging-Software. Das „coolste Mikroskop
Österreichs“ erlaubt es, biologische Proben bei minus 196 Grad
schockzugefrieren und in diesem Zustand weitgehend unverfälscht zu
betrachten. Allerdings kämpfen die Wissenschaftler beim immer
stärkeren „Heranzoomen“ an ihr Objekt mit einem tückischen Problem:
der energiereiche Elektronenstrahl fällt so konzentriert auf die
Probe, dass diese mit dem ersten Bild auch schon wieder zerstört
ist.
Die Wiener Forscher lösten das Problem mit bildverarbeitenden
Algorithmen und mit der schieren Masse der Bilder. Sie analysierten
rund 37 000 Aufnahmen von isolierten Nadelkomplexen. Ähnliche Bilder
wurden zusammengefasst und miteinander verrechnet; so lässt sich aus
zahlreichen, sehr rauschbehafteten Aufnahmen ein einzelnes, scharfes
dreidimensionales Bild generieren. Die enorme Rechenleistung
lieferte ein Cluster von rund 500 zusammengeschalteten Computern.
Mikroskopieren ohne störende Menschen
Um die große Zahl an Aufnahmen zu erreichen, erledigte das
Mikroskop die Arbeit teilweise automatisch in den Nachtstunden. Das
hat wesentliche Vorteile, denn Menschen stören dabei nur. Sie atmen,
sprechen und bewegen sich und erschüttern dadurch das empfindliche
Mikroskop. Selbst ein fahrender Aufzug kann den Elektronenstrahl
irritieren
Das Kryo-Elektronenmikroskop am IMP-IMBA ist das einzige seiner
Art in Österreich. Der hohe technische Aufwand, der mit seinem
Betrieb einhergeht, macht sich für die Forscher bezahlt. Das
Vordringen in den Subnanometer-Bereich erschloss ihnen eine weitere
Möglichkeit, ihre Erkenntnisse zu verfeinern. Sie konnten bereits
vorhandene Daten, die durch Kristallographie gewonnen wurden, in die
Nadelstruktur „einpassen“ und das dreidimensionale Bild damit
perfekt ergänzen. Mit dieser Hybridmethode gelang es ihnen, den
kompletten Bauplan des Infektionsapparats aufzuklären.
Für Thomas Marlovits stellt die Technologie einen
Innovationsschub dar: „Mit den Methoden, die wir für unsere Arbeit
entwickelt haben, konnten wir das „Imaging“-Verfahren auf einem
hohen Niveau etablieren. Die fantastische Infrastruktur, die wir
hier am Campus Vienna Biocenter zur Verfügung haben, können wir
damit bis an ihre Grenzen ausreizen.“
Die Erkenntnisse bringen nicht nur die Grundlagenforschung voran,
so Marlovits: „Es ist denkbar, dass sich auf der Basis unserer Daten
eine Substanz entwickeln lässt, die sich in den Nadelkomplex einbaut
und seine Funktion stört. Dann hätten wir ein sehr wirksames
Medikament – nicht nur gegen Salmonellen, sondern auch gegen andere
Krankheitserreger, die dieses System nutzen, etwa die Auslöser von
Cholera, Pest und Typhus.“
Reference
Oliver Schraidt & Thomas C. Marlovits. Three-Dimensional Model of
Salmonella’s Needle Complex at Subnanometer Resolution. Science 331,
1192-1195 , March 4, 2011.