Hirntumore: Studie rückt vergessene Zellen in den Fokus
15 April 2010
Das Glioblastom ist ein tückischer Feind: Der Hirntumor lässt
sich zwar oft weitestgehend chirurgisch entfernen. So gut wie immer
bilden sich danach aber neue Wucherungen. Grund dafür ist, dass nach der
Operation versprengte Krebszellen im Gehirn verbleiben. Forscher der
Universität Bonn haben diese „vergessenen“ Zellen nun erstmals genauer
unter die Lupe genommen. Dabei konnten sie nachweisen, dass diese sich
in vielen grundlegenden Eigenschaften stark von den Zellen aus dem
Zentrum des Tumors unterscheiden. Eventuell erklärt das auch, warum
Bestrahlung oder Chemotherapie den „vergessenen Zellen“ so wenig anhaben
können.
Patienten mit einem Glioblastom werden in aller Regel so schnell
wie möglich operiert. Dabei entnimmt der Chirurg vom Zentrum der
Wucherung aus beginnend krankhaftes Gewebe, bis der Tumor
vollständig entfernt scheint. Leider sind die Krebszellen jedoch
schwer zu fassen: Sie wandern oft weit in benachbartes gesundes
Gehirngewebe ein. Daher verbleiben nach der Operation praktisch
immer einige bösartige Zellen, aus denen dann neue Wucherungen
entstehen.
Die Bonner Wissenschaftler haben diese Residualzellen nun
erstmals genauer unter die Lupe genommen. Von der Bonner
Neurochirurgie wurden den Forschern für die Untersuchungen neben
Proben aus der Haupttumormasse auch kleine angrenzende diagnostische
Gewebeproben von 33 Patienten zur Verfügung gestellt. „Daraus haben
wir dann ganz gezielt die wenigen entarteten Zellen gewonnen, die
normalerweise im Patienten verblieben wären“, erklärt Professor Dr.
Björn Scheffler vom Institut für Rekonstruktive Neurobiologie.
Erstaunliche Entdeckung
Bei der Untersuchung der Residualzellen machten die Forscher eine
erstaunliche Entdeckung: „Die Krebszellen in der Umgebung des Tumors
haben ganz andere Eigenschaften als die aus dem Zentrum der
Wucherung“, sagt Schefflers Kollege Dr. Martin Glas vom Schwerpunkt
Klinische Neuroonkologie. „Sie sind zum Beispiel beweglicher, sie
bilden andere Rezeptoren, sie reagieren anders auf Bestrahlung oder
chemotherapeutische Substanzen.“
Möglicherweise erklärt dieser Befund auch die mageren Erfolge
gegen den häufigsten bösartigen Hirntumor: Obwohl die
Krebserkrankung seit mehr als einem halben Jahrhundert intensiv
erforscht wird, ist eine Heilung bislang nicht möglich.
Durchschnittlich überleben die Patienten nach der Erstdiagnose nur
etwa 15 Monate. Zwar rücken die Ärzte den Residualzellen nach der
Operation mit Bestrahlung und Chemotherapie zu Leibe. Doch diese
Waffen bleiben anscheinend stumpf. Anders lässt sich nicht erklären,
dass Glioblastom-Patienten praktisch immer einen Rückfall erleiden.
Die neuen Ergebnisse könnten der Medizin helfen, ihr
Waffenarsenal gegen die verbleibenden Krebszellen zu schärfen.
Bislang wurden Therapien nur an dem entnommenen Tumorgewebe
untersucht. Doch selbst wenn ein Medikament den eigentlichen Tumor
zerstören kann, muss das nicht auch für die bösartigen
Residualzellen gelten. „Zumindest lohnt es sich, diesen Aspekt im
Auge zu behalten“, sagen Glas und Scheffler, dämpfen aber im
gleichen Atemzug übertriebene Hoffnungen: „Es liegt noch viel Arbeit
vor uns. Für neue Therapieansätze müssen wir zunächst die Biologie
dieser Zellen noch besser verstehen.“
Die Studie wurde durch die Volkswagenstiftung und das BONFOR-Programm
der Bonner Medizinischen Fakultät gefördert.