IBM Forscher entwickeln neuartigen Anaylsechip für medizinische
Tests
18 November 2009
Wissenschaftler bei IBM Research – Zürich haben ein neues
medizinisches Analysetool auf Basis eines mikrostrukturierten
Siliziumchips entwickelt. Der Chip benötigt nur kleinste Mengen an
Probenflüssigkeit, um schnell und sicher eine Vielzahl von Krankheiten
zu detektieren — unter anderem auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine
der häufigsten Todesursachen. Durch seine geringe Grösse lässt sich der
Chip leicht in ein handliches Gerät integrieren — in der Form etwa
ähnlich einem Schwangerschaftstest oder auch einer Kreditkarte — und
direkt am Ort der Behandlung einsetzen. Die neue Technologie verkürzt
die Testdauer im Vergleich zu herkömmlichen Labortests signifikant.
Dadurch würde es möglich, Patienten sofort nach einem Herzinfarkt auf
dessen Ursache zu testen und schneller die geeigneten medizinischen
Massnahmen zu ergreifen.
In der Dezemberausgabe des Fachmagazins Lab on a Chip beschreiben die
IBM Forscher Luc Gervais und Emmanuel Delamarche in Zusammenarbeit mit
dem Universitätsspital Basel ein zukunftsweisendes, medizinisches
Testverfahren, das Kapillarkräfte in haarfeinen Strukturen und Kanälen
nutzt, um Krankheitsmarker, Bakterien oder Viren in kleinsten Mengen von
Blut oder Serum zu detektieren. Krankheitsmarker sind spezifische
Proteine, die sich aufgrund einer Krankheit bilden und in der
medizinischen Diagnose als Nachweis der Erkrankung dienen.
Kapillarkräfte treten immer dann auf, wenn Flüssigkeiten mit Kapillaren,
wie zum Beispiel engen Röhren, Spalten oder Hohlräumen in Kontakt kommen.
Ein klassisches Beispiel ist Löschpapier, das Tinte aufsaugt.
„Der von uns entwickelte Test vereint drei essentiell wichtige
Aspekte in der medizinischen Diagnose: Er ist handlich, schnell und
benötigt kleinste Mengen an Flüssigkeit“, fasst Emmanuel Delamarche,
Leiter des Projektes bei IBM Research – Zürich zusammen. „Er spart dem
medizinischen Personal kostbare Zeit in Situationen, wo jede Minute
zählt, um Leben zu retten.“
Alles in einem Chip
In einem länglichen Siliziumchip mit einer Abmessung von 1×5 cm haben
die Wissenschaftler in drei Jahren Forschungsarbeit alle Elemente, die
für die Analyse gebraucht werden, durch das gezielte Anordnen von
Mikrometer-grossen Strukturen, integriert. Die Mikrostrukturen erzeugen
auch die Kapillareffekte, die die Richtung und die Geschwindigkeit der
Flüssigkeit durch den Chip hindurch bestimmen und die ihn so effizient
machen. In nur 15 Sekunden kann der Chip auf diese Art und Weise mit
Flüssigkeit gefüllt werden — ein Vielfaches schneller als in heutigen
Verfahren. Ist eine komplexere Analyse notwendig, kann die
Füllgeschwindigkeit auf mehrere Minuten ausgedehnt werden.
Ein weiterer Vorteil ist die simple Handhabung. Wo traditionelle
Verfahren viele Einzelschritte von der Blutentnahme bis zum
Laborresultat benötigen, fasst das Minilabor auf dem Chip alle Schritte
zu einem zusammen:
- Als Erstes wird ein Mikroliter Probenflüssigkeit — ein
Fünfzigstel einer Träne — am vorderen Ende des Chips aufgebracht.
- Eine haarfeine Struktur am gegenüberliegenden Ende wirkt
wie eine Pumpe und erzeugt einen Kapillareffekt, der die
Probenflüssigkeit veranlasst, durch den Chip zu strömen. Die
Fliessgeschwindigkeit wird durch die Grösse und Struktur dieser „Kapillarpumpe“
bestimmt.
- Die Flüssigkeit wird zunächst durch ein verästeltes Netz
von Mikrokanälen geleitet. Dieser Schritt ist wichtig, um Luftblasen
oder Verstopfungen zu vermeiden.
- Dann passiert die Flüssigkeit eine Region, in der sich
Antikörper befinden. Antikörper werden als Immunantwort des Körpers
auf eine Krankheit gebildet und in der medizinischen Analyse zum
Nachweis von Krankheiten eingesetzt. Sie funktionieren nach dem
Schlüssel-und-Schloss-Prinzip: Befindet sich in der Testflüssigkeit
der zum Antikörper passende Krankheitsmarker, koppeln sich beide
aneinander. Der IBM Chip verwendet 70 Pikoliter Antikörper — ein
Millionstel einer Träne. Durch diese geringe Menge können sie sich
effizient und sehr schnell in der durchströmenden Testflüssigkeit
lösen und binden. Die Antikörper sind zwecks der Analyse zudem mit
Fluoreszenzfarbstoffen verbunden.
- In der 30 Mikrometer breiten und 20 Mikrometer tiefen
Reaktionskammer lagern sich die mit Antikörpern gekoppelten
Krankheitsmarker ab. Mit einem portablen Lesesensor — ähnlich dem
einer Digitalkamera, aber wesentlich empfindlicher — kann man unter
einem fokussierten Rotlicht die Fluoreszenz sichtbar machen.
Mediziner können anhand der Menge des gemessenen Lichts den Nachweis
für eine bestimmte Krankheit erbringen.