Von Geburt an alt — Berliner Wissenschaftler identifizieren eine Ursache für vorzeitige Alterung

12 November 2008

Schlaffe, faltige Haut und brüchige Knochen — jeder kennt diese typischen Merkmale alter Menschen. In sehr seltenen Fällen können Alterungsprozesse bereits gleich nach der Geburt einsetzen. Unter "Progerie" (wörtlich: "frühes Alter") fassen Mediziner eine Reihe von Krankheiten zusammen, die bereits bei Kleinkindern zur Vergreisung führen. Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik und der Charité-Universitätsmedizin Berlin ist es jetzt gemeinsam mit Kollegen aus Köln, Münster, Chemnitz, München, Italien, den USA, Oman, Großbritannien und der Schweiz gelungen, die genetische Ursache einer solchen Progerie-Erkrankung aufzuklären. In der aktuellen online-Ausgabe der Zeitschrift "Nature Genetics" beschreiben Stefan Mundlos und seine Mitarbeiter, dass die Krankheit Gerodermia osteodysplastica durch Mutationen des SCYL1BP1-Gens verursacht wird. Dies führt zu einem Funktionsverlust des im Golgi-Apparat lokalisierten SCYL1BP1-Proteins, welches am Transport von Proteinen aus der Zelle beteiligt ist. [H.C. Hennies, U. Kornak et al.: Gerodermia osteodysplastica is caused by mutations in SCYL1BP1, a Rab-6-interacting golgin. Nature Genetics, Advance Online Publication, 9.11.2008, DOI 10.1038/ng.252]

Gerodermia osteodysplastica ist eine selten auftretende Erbkrankheit, die durch schlaffe, faltige Haut und Osteoporose gekennzeichnet ist. Die Krankheit wird autosomal-rezessiv vererbt, sie tritt also nur in Erscheinung, wenn sich auf beiden Chromosomen des betroffenen Patienten eine Mutation befindet. Die Forscher begannen ihre Arbeit mit der Untersuchung von zwölf Patienten aus vier Mennoniten-Familien, die alle die gleichen klinischen Symptome zeigten. Bei den Mennoniten handelt es sich um eine reformierte Glaubensgemeinschaft, die im 16. Jahrhundert in Friesland im Norden der Niederlande gegründet wurde. Die sogenannten "Wiedertäufer" waren im Laufe ihrer Geschichte zahlreichen Verfolgungen ausgesetzt. In Folge emigrierten sie zunächst nach Polen und Russland und von dort nach Kanada und in die USA. "Seit ihrer Entstehung bilden die Mennoniten eine relativ geschlossene Gemeinschaft, die sogar ihre eigene Sprache, das Mennoniten-Plautdietsch, beibehalten haben.", erläutert Stefan Mundlos, Leiter der Gruppe, die die Untersuchungen durchgeführt hat. "Dadurch konnten sich bestimmte genetische Abweichungen, die bereits bei den Gründervätern vorhanden waren, im Laufe der Jahrhunderte durchsetzen. Solch ein founder effect entsteht nur aufgrund der geringen Anzahl an vorhandenen Merkmalen der an der Gründung beteiligten Individuen und nicht infolge unterschiedlicher Selektionsbedingungen."

Bei allen zwölf mennonitischen Patienten fanden die Wissenschaftler eine identische Veränderung im sogenannten SCYL1BP1-Gen. Daraufhin untersuchten die Forscher das betreffende Gen bei neun weiteren Patienten aus Deutschland, Italien, Oman, Pakistan, Libyen, Mexiko und den USA. Hier fanden sie neun unterschiedliche Mutationen, die jedoch ebenfalls alle das SCYL1BP1-Gen betrafen. Das von dem Gen kodierte SCYL1BP1-Protein war dagegen in Hautzellen der Patienten nicht nachweisbar, was auf einen kompletten Funktionsverlust des betreffenden Proteins schließen lässt.

In weitergehenden Untersuchungen gelang es den Wissenschaftlern, das SCYL1BP1-Protein als Teil des Golgi-Apparates zu identifizieren. Dabei handelt es sich um einen membranumschlossenen Reaktionsraum innerhalb der Zelle, den die meisten von der Zelle freigesetzen Proteine passiern müssen. Auf diesem Weg werden die Proteine verändert und so auf ihre Funktion außerhalb der Zelle vorbereitet. Die Forscher fanden heraus, dass SCYL1BP1 spezifisch mit dem Protein Rab6 interagiert, welches eine zentrale Rolle bei dem Transport von Stoffen innerhalb der Zelle einnimmt.

Wissenschaftler gingen bislang davon aus, dass Alterungsprozesse vor allem auf Schäden der DNA zurückzuführen sind, die von besonders reaktionsfreudigen Sauerstoffmolekülen (freien Radikalen) verursacht werden. Die Ergebnisse der Berliner Forscher deuten jedoch an, das auch andere Mechanismen für die klassischen Veränderungen verantwortlich sein können, die ein Organismus im Alter durchlebt. In weitergehenden Studien wollen die Wissenschaftler klären, ob durch unterschiedliche Mechanismen "zufällig" die gleichen Veränderungen ausgelöst werden können, oder ob tatsächlich die Funktion des Golgi-Apparates während der Alterung beeinträchtigt wird.

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